• Dunkellicht

    Es ist Viertel nach Neun, ein Mittwoch Abend. Keineswegs ist es so, dass ich das erste Mal nachts im Münster bin, also jetzt mal von der Tagezeit her gesehen, aber, und das ist das Besondere, ich bin das erste Mal im gänzlich unbeleuchteten Münster. In meiner Hand halte ich eine Taschenlampe und die Anderen, die dabei sind, machen das auch. Niemand macht sie an, ich auch nicht, zunächst jedenfalls. Mit Durchschreiten der Eingangspforte schluckt mich der Bau, schließt sein Maul schmatzend hinter mir, transportiert mich stockend weiter und urplötzlich befinde ich mich mitten in seinem Bauch. Und doch scheint es so zu sein, dass ich mich, auch wenn die Situation…

  • „Ja, ist es …“

      Nach ungefähr 7 km verdreht sich heute mein Socken im Schuh und zwar so dämlich, dass ich einen Knubbel unter dem Ballen habe, der echt fies drückt. Ich halte an der Bushaltestelle an, an der ich vorher schon vorbei gelaufen bin, setze mich auf die Bank, ziehe meinen Schuh aus, drehe den Socken zurück, schlupfe wieder in den Schuh und binde ihn zu. Ein älterer Herr mit grauen Haaren steht ein Stück neben mir. Seine Körperhaltung ist ein wenig gebückt, als stütze er sich auf einen Stock, nur dass er keinen Stock hat. Er sieht mich an und frägt : „Das, deine Land?“ Ganz kurz lässt er seinen Blick…

  • Flügel hast du

        Ende des vergangengen Jahres habe ich einen Stift geschenkt bekommen, eine Colani-Feder, einen Kugelschreiber, entworfen von Luigi Colani, jenem Designer, der sich die schöpferische Kraft der Natur zum Vorbild nimmt und Konturen und Macharten in seine eigene Formensprache übersetzt. Für mich ist dieser Kugelschreiber besonders, sehr besonders sogar. Zum einen finde ich ihn einfach nur schön, also ich sitze gerne da und schaue ihn mir an. Seine Körperform ist gefällig, in sich stimmig und wie alles, das seinen Ausdruck gefunden hat, ist er somit eine Wohltat für die Augen. Zum anderen mag ich es, ihn zu berühren, fahre seine Form nach, die die Bewegung gleichermaßen zu beschleunigen und…

  • Nebel sammelt sich in der Tiefe

    Nebulöser Freitagslauf mit einer schwebenden Badeinsel am See, Bärlauchduft in der Halde, aufgebuddelten Fußwegen, einer wütend klingelnden Straßenbahn, einer ersten Phase kurzer Orientierungslosigkeit, einem Mann, der mir den Weg zeigt, einem Tretrollerfahrer, der mich mit mindestens 100km/h überholt, einem Pony, das in die durchbrechende Sonne blinzelt und die Unterlippe von mir gekrault bekommen möchte – ich schwöre, es hat mich darum gebeten – , einem umwerfenden Ausblick aufs Münster, so dass ich am liebsten für immer dort stehen geblieben wäre, ein paar Häuschenschnecken, die ich über die Straße tragen muss, einem Knusperhexenhäuschen ohne Hexe, einem Graffiti, das mich fragend zurücklässt – „Mach dir keinen Kopf, es sei denn du willst…

  • Liebesstumm

      Immer wenn ich ihr begegne, frage ich mich, wie es wirklich dazu gekommen ist. Müde hatte sie sich an einem Abend an die Säule gelehnt, es war schon fast dunkel, ihr Körper hatte gefroren, ihr Geist gehungert. Unter der Berührung ihres Rücken war der Stein weich geworden, hatte seine Arme zart um sie gelegt, sie an sich gezogen und dann war sie mit ihm verschmolzen. Es sieht für mich nicht so aus, als habe sie sich dagegen gewehrt, auch wenn ich durchaus schon mal den Eindruck hatte, dass sie kurz davor war, sich von ihm zu lösen, um an mir vorbei in Richtung Ausgang zu laufen. Ein paar Farben…