Mit bleierne Mine gegen bleierne Zeit
Schon immer bin ich Bleistiftschreiberin, Bleistiftzeichnerin, Bleistiftkritzlerin, Bleistiftliebhaberin eben. Und dabei meine ich ausschließlich Holzbleistifte, die also, die man spitzen kann, die sich sozusagen aufbrauchen in ihrem Tun und ihrem Dasein. Ich besitze unzählig viele davon. Es befinden sich schlichte Unlackierte in meiner Sammlung, aber auch Quietschebunte mit Glitzer, sogar einen mit einem Swarowski-Kristall hab‘ ich. Wo ich den herhabe, weiß ich nicht mehr, wahrscheinlich hab ich ihn mal geschenkt bekommen, irgendwann. Natürlich hab ich auch Bleistifte, die an ihrem oberen Ende einen kleinen runden Radiergummi aufgeklebt haben. Aber die mag nicht und deshalb benutze ich sie auch nicht. Sie liegen mir ungut in der Hand. Der Schwerpunkt ist zu weit oben und ich habe das Gefühl, den Stift mit den Fingern wirklich festhalten zu müssen, weil er mir sonst einer Wippe gleich aus der Hand kippt, so fühlt es sich jedenfalls an.
Auf meinem Arbeitstisch stehen verschiedene Gefäße, in die Stifte nach ihren Minen sortiert sind. Die Bleistifte und auch die Füller liegen jedoch in einer mit einem Tuch ausgelegten Schublade. Das hat einen einfachen Grund, denn natürlich passiert es, dass diese Gefässe umfallen, sei es, dass Emma, die Katze, es sich auf meinem Tisch gemütlich macht, um mich beim Arbeiten zu beobachten oder sei es, dass der Tisch mir einfach mal wieder viel zu klein ist und ich beim Wegschieben von Blöcken, Ordnern, Mappen oder diverser Teetassen, die Gefäße mit den Stiften einfach selbst umwerfe. Deshalb lege ich die Bleistifte in eine Schublade, ich möchte sie schützen vor mir und möchte nicht, dass sie womöglich vom Tisch rollen, sie sich nach dem Sturz in die Tiefe ihre Mine brechen und so ihr Lebensziel wegen meiner Ungeschicktheit verfehlen müssen. Denn sie sind dazu da zu zeichnen, zu schreiben, zu kritzeln und sie müssen dabei Späne lassen, genau das ist ihre Bestimmung. Die Lebenszeit meiner Bleistifte, zumindest derer, die ich gerne benutze ist eher gering. Das liegt daran, dass ich am liebsten B-Bleistifte benutze, gleichzeitig aber gerne spitze Stifte verwende und so werden sie an manchen Tagen mehrfach gespitzt. Beim Telefonieren, beim Überlegen, beim Ideen hinschreiben, greife ich am liebsten zu einem Bleistift, nur an den Notizbüchern in meiner Handtasche, da klemmen Kugelschreiber. Ein Bleistift ist ortsgebunden, verweilt lieber an einem Ort und meidet die brutale Hektik des Reisens, dafür ist seine zarte Seele nicht gemacht.
Ich schreibe und zeichne gerne mit Bleistiften, weil sie leicht sind und meine Hand nicht so schnell ermüdet und außerdem, vielleicht aber bilde ich mir das ja auch nur ein, kann ich das Holz seines Körpers riechen und ich mag diesen Geruch, er ist angenehm, mein Büro ist im Keller, es gibt kein Fenster, das ich aufmachen kann, vielleicht deshalb. Hinzukommt, dass Bleistifte mit ihrer Mine so unterschiedlich gehandhabt werden können. Ob man fest aufdrückt oder ganz zart und vorsichtig, ob man mit einem spitzen Stift feinste Linien zeichnet, das Papier damit sogar fast zerreist oder ob man einen stumpfen bereits abgeschriebenen Stift zum Schattieren verwendet und diesen dabei anders in der Hand hält als beim Schreiben, vielmehr unter dem Handballen hindurch, mehr so wie man auch manchmal einen Pinsel hält, oder ob man seine Spur später dann mehr oder weniger sorgfältig mit den Fingerkuppen oder der seitlichen Hand verwischt, ein Bleistift hinterlässt verschiedenste Fährten.
Seit langer Zeit schon gehört der oben fotografierte Bleistif zu meinen Lieblingsbleistiften. Eigentlich immer habe ich mehrere davon um meinen Arbeitsplatz verstreut herumliegen. Das Besondere an diesem Stift ist die Form, er ist dreieckig, schmiegt sich dadurch noch besser in die Mulde zwischen Daumen und Zeigefinger, fast spürt man ihn nicht. Da wo der Stift Halt sucht – oder bin ich es, die Halt an ihm sucht – hat er hat kleine Noppen und zwar bis nach oben, das bedeutet, er hat diese Noppen auch dann noch, wenn er kleiner wird. Durch diese geschaffene Unebenheiten rutschen die Finger nicht so leicht nach unten, man muss seltener nachgreifen, gerade auch dann, wenn man kalte oder warme Hände hat. Und beim Nachdenken ist es einfach schön die Finger gedankenverloren über die kleinen Erhebungen zu streichen, und dabei ist tatsächlich schon das eine oder andere Mal eine wunderbare Melodie in meine Ohren aufgestiegen.
Ein Bleistift jedenfalls ist ein ganz wunderbarer Stift und mit dem, was man mit ihm erschaffen kann, löst seine bleierne Mine die bleierne Zeit auf, wenigstens für einen Moment.
Faber Castell Grip 2001