Kein Einsamlauf

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Heute bin ich niemandem begegnet auf meiner Runde und das, obwohl ich doch länger unterwegs war. Aber da war niemand. Es mag daran gelegen haben, dass ich für meinen Lauf eine ohnehin eher abgelegene Strecke gewählt hatte, an der Donau entlang, aber nicht in Richtung Stadt, wie ich im Sommer so gerne laufe, über die Stadtmauer, über einen Teil des Festungswegs, sondern in die entgegengesetzte Richtung, zwischen Fluss und Wald und später dann über unattraktive um diese Jahreszeit gerne mal matschige Feldwege. Aber vor Hundespaziergängern, Kinderwagenschiebern oder natürlich anderen Läufern, ist man doch eigentlich nirgendwo sicher. Heute war zudem noch dichter Nebel, der sich über meine Welt gelegt und sie umarmt hat. Die Geräusche der Straße hinter dem Wald, irgendwo auf der anderen Seite, klingen gedämpft bis zur Unkenntlichkeit zu mir herüber. Das Rascheln der Blätter unter meinen Füßen bleibt irgendwo auf dem Weg zu meinen Ohren stecken und legt sich rüttelnd und bunt unter meine Rippen. Und so laufe ich für den Moment, wo meine Füße vor zehn Schritten waren, kann ich nicht mehr sehen, wenn ich mich umdrehe und wo meine Füße mich in weiteren zehn Schritten hingetragen haben werden, das können meinen Augen augenblicklich nur erahnen. Die Distanz wird uneinschätzbar, verliert ihre Weite. Es ist, als ob ich nicht vorankomme und doch spüre ich deutlich, dass ich nicht auf der Stelle bleibe. Meine Augen genießen es, geben sich dieser Blindheit berauscht hin und ich erlaube es ihnen, es ist eine gute Zeit dafür.

Meine Sinne schärfen sich. Die Strömung des Flusses neben mir, kaum zwei Meter weg, erzeugt einen kaum wahrnehmbaren Hauch. Milchige Arme strecken sich über die Böschung und scheinen mich ins Wasser ziehen zu wollen. Ein Bild aus der Verfilmung des letzten Harry-Potter-Romans blitzt in meinem Kopf auf und unwillkürlich gehe ich ein bisschen auf Abstand. Scheiß Phantasie, wieder mal will mein Kopf mir einen Streich spielen und bringt Adrenalin in meinen Kreislauf. Ich schaue mich um. Niemand. Ich laufe weiter.

Doch da sind diese Anderen, sie haben sich abgesprochen, nutzen den Moment, in dem ich nicht vor ihnen fliehen kann und ihnen zuhören muss. Die Mutigste von ihnen tritt hervor, holt Luft, boxt mich in den Magen, setzt sich dann direkt neben meinen Gehörgang und fängt an. Alles lässt sie raus, schont mich nicht, knallt mir alles hin und als ich sie frage, ob sie nun endlich fertig sei, schüttelt sie nur den Kopf und antwortet: „Nein, aber ich bin ja nicht die Einzige, die anderen wollen auch noch und da vorne, wenn du über die Brücke läufst, dann beginnt ja schon wieder dein Rückweg und heute wollen wir alle mal zu Wort kommen.“ – „Boh“, denke ich, „die haben sich echt gegen mich verbündet, ganz schön fies.“ Die Nächste geht etwas behutsamer mit mir um, ihr Ton ist sanfter, nicht so voll Groll, nicht so wütend auf mich. Ich höre jedes ihrer Worte. Sie stellt viele Fragen, gibt keine Antworten und erwartet auch keine von mir. Ich soll sie mir selbst geben. Und dann ist es ausgerechnet die Lauteste, die die Leiseste und Kleinste an der Hand nimmt und nach vorne schiebt, „Und jetzt du“. Die Kleine druckst herum, hält den Blick gesenkt, hat die Arme um ihre Schultern geschlungen. „Nein, ich will nicht, es ist nicht wichtig, was ich zu sagen haben“, ihre Lippen zittern, als sie das sagt und sie will sich verstecken. „Doch“, sag ich zu ihr und zieh‘ sie zu mir her, „doch, ich würde sehr gerne wissen, was du zu sagen hast, ich höre dir doch sonst kaum zu“, ich drücke sie auf meinen Schoß und streichle ihr über den Kopf. Da legt sie ihren Mund an mein Ohr und spricht. Nur ich höre, was sie sagt und für einen Moment wird das Netz über meinen Augen noch dichter und meine Blindheit noch dunkler.

Noch immer laufe ich, als ich Zuhause ankomme, sehe ich das erste Stückchen blauen Himmels. Begegnet bin ich heute zwar niemandem, aber einsam war ich bei meinem Lauf ganz und gar nicht. Geklärt hab‘ ich auch noch nichts, aber immerhin sind mal alle zu Wort gekommen.

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