Drachenflug

 

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Als wir loslaufen, ist er noch weit oben am Himmel. Das Rauschen seines Fluges ist nicht zu hören, ich sehe ihn nur einmal kurz, als er seinen Rachen aufreißt und ein Feuersturm aus seinem Maul bläst. Ich erkenne ihn, weil er oft da ist, dabei habe ich ihn noch nie von Angesicht zu Angesicht gesehen, noch nie in seine funkelnden Augen geblickt, wirklich nah ist er mir also noch nie gekommen. Und trotzdem, ich fühle, wenn er da ist, oft wird mir dann eng und ich bekomme schlecht Luft, das ist ein Zeichen für seine Anwesenheit. Als wir loslaufen, spüre ich, dass er bereits näher kommt, er hält noch immer großen Abstand, aber er dreht seine Runden weiter unten, mein Rücken wird warm. Wir laufen die ersten 6 Kilometer, es geht bergauf. Ich laufe alleine, zwei laufen ein Stück vor mir, ich sehe nur ihre wackelnden Leuchten und die fast schon blendenden Reflektionsstreifen ihrer Jacken im Licht meiner Stirnlampe. Die anderen sind hinter mir, außerhalb meiner Sichtweite. Als wir am Tierheim vorbeilaufen, heulen die Wölfe auf. Bevor wir in den Wald abbiegen, verliert er uns aus den Augen. Er begiebt sich in Sinkflug, gleitet fast lautlos über die Baumkronen, seine Schwingen sind ausgebreitet, er sucht, aber er sieht mich nicht. Seine Richtung hat er verloren und nun kreuzt er ziellos über die Bäume. Schließlich entfernt er sich, fliegt in Richtung Stadt. Auf einmal atme ich leichter, ich schaffe es, den ganzen Berg hochzulaufen, obwohl das letzte Stück steil ist, hole die Beiden vor mir ein. Wir warten auf die anderen, laufen Kreise. Als wir alle zusammen sind, geht es weiter, wir folgen der Straße. Das Licht der Straßenlaternen schluckt uns und macht uns unsichtbar, obwohl es doch eigentlich genau anders sein müsste. An der Pilzbuche biegen wir ab, es geht am Waldrand entlang. Kurz vor dem Reiterhof ertönt über unseren Köpfen ein lautes Brausen. Sein Flügelschlag wirbelt einen Sturm auf. Ein gellender Schrei durchbricht die Dunkelheit. Er hat mich entdeckt, naht im Sturzflug. Direkt vor mir lässt er sich nieder, die Wucht seiner Landung stößt mir an die Brust und wirft mich zurück. Seine Krallen reißen den Weg auf, die entstandenen Krater füllen sich, Regensturzbäche ergießen sich über uns. Ich mache einen Schritt zur Seite und stehe bis zu den Knöcheln im Wasser. Neben mir liegen Äste, ich ergreife einen davon und fuchtel damit herum. Mir ist kalt. „Verschwinde“, hör‘ ich mich sagen. Er reißt seinen Rachen auf. Für einen kurzen Moment leuchtet alles in einem gleißenden Orange. Dann schau ich ihn einfach nur an und gehe langsam an ihm vorbei, streife mit meiner Hand die lederne Haut seiner Flügel. Kurz darauf erhebt sich ein riesiger Schatten in den Himmel und verschmilzt mit der Dunkelheit. Nun geht es berab, ich laufe voraus, spüre nicht mehr, wie sich meine Beine bewegen, ich laufe einfach.

Am Auto angekommen, wickle ich mich in ein Handtuch, ich bin durchnässt bis auf die Haut, meine Oberschenkel brennen vor Kälte. Im Radio Michael Jackson’s Thriller. Ich dreh‘ laut. Nach der Donaubrücke entscheide ich mich für den kurvigen Weg am See entlang. Überall liegen Äste, ich fahre langsam. Aus dem Lautsprecher ertönt das gespenstische Lachen am Ende des Liedes. Glühende Augen vor dem Auto auf der Straße. „Ich bremse auch für Zombies“. Als ich das Licht kurz abblende, hoppelt ein großer Hase ins Feld. Ich muss lachen.

Drachen, Zombies, Monster, alles feige Memmen, einer Heldin, wie mir, können diese Biester nichts anhaben. Mann, war das ein krasser Lauf.

Distanz: 12,14km , Dauer: 01:21:0173h, +Höhenmeter: 123m, Temperatur: 6°C

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