Gedankenaustausch
Sie packt mich am Rocksaum, zieht daran. Ich schieb‘ ihre Hand weg.
„Lass das gefälligst“, mit einem Ruck dreh ich mich zu ihr um.
Sie kichert, dreht ihren Kopf, schaut um sich, dann beugt sie sich vor.
„Bleib doch mal stehen, ich hab dich schon so oft hier geseh’n.“
„Ja“, sag ich, „kann schon sein. Ich komm‘ immer mal wieder.“
„Zu mir kommst du aber nie“.
„Warum auch“, sag‘ ich.
Langsam atmet sie aus, macht ihren Mund rund und pustet mir ins Gesicht.
„Boh, was soll das denn nun?“
Wieder erklingt ihr helles Gegecker, fliegt an die Decke empor, hangelt sich durch die Gewölbe,
um kurz darauf, an den Rillen der Pfeiler wieder zu Boden zu rutschen.
Weiter vorne in Richtung linkes Seitenschiff drehen sich zwei Besucher um, recken die Hälse und schauen
in meine Richtung. Ich halte den Zeigefinger vor meinen Mund, „Psssst“, zische ich ihr zu.
„Ich finde, wir sollten uns unterhalten. Setz‘ dich doch zu mir.“
„Dir ist langweilig, oder? Kann ich verstehen. Du sitzt schon über 500 Jahre hier.“
„Nein, das ist es nicht“.
„Was ist es dann?“, ich geh in die Hocke.
Ihr hölzernes Gesicht ist glatt, sieht fast samtig aus, meine Finger streichen über ihre Wange, die vor Aufregung ganz warm ist. Ein Bisschen muß ich ihren Turban hochschieben, damit ich direkt in ihr Ohr sprechen kann.
„Du musst mir meine Zukunft nicht voraussagen, Sybille. Ich will sie nicht wissen.“
„Aber das ist meine Natur und jeder will doch schließlich wissen, was ihm die Ferne bringt,
jeder will sich darauf vorbereiten.“
„Ich nicht“, entgegne ich.
Verzeifelt wirkt sie, wie sie mich so ansieht.
Nun knie ich mich vor sie hin, ziehe die Handtasche von meiner Schulter und öffne deren Reißverschluß.
„Warte mal, ich hab eine Idee“, kurz darauf halte ich eine kleine Tube in Händen.
Ich drücke einen großen Strang der weißen Paste auf die Kuppe meines Zeigerfingers und verteile diesen sorgfältig in Sybille’s Gesicht. Das dunkle Holz verschwindet, die Paste verschluckt die Maserung. Sybille’s Augen beginnen zu strahlen, ihre Haut schimmert hell, leuchtet fast, „Hmmm, wie das duftet“.
„Ich bin noch nicht fertig“, wieder suche ich etwas in meiner Tasche. Mit dem schwarzen Stift ummale ich ihre Augen, ziehe zarte Striche von den Wimpern über die Lider hinweg in Richtung Augenbrauen, am Augenwinkel setze ich einen dicken Strich, fast bis zum Haaransatz, unter den unteren Wimperkranz male ich einen geschwungen Bogen, der sich über ihre Wange kringelt.
Sybille quietscht, „Oh, wie das kitzelt.“ – „Gleich, halt doch mal still, es fehlt noch was“. Aus meiner Tasche hole ich einen goldfarbenen Stick hervor, mit der linken Hand ziehe ich den Deckel herunter und drehe mit der rechten die Farbe hervor. Es riecht nach Wachs. Kurz darauf leuchtet ihre Nase in knallrot.
Ich stehe auf, mache einen Schritt zurück. „So, nun bin ich fertig, ich finde, das sollte deine Natur sein.“ Ich mache mit meinem Handy ein Photo und zeige ihr, wie sie aussieht. Sybille’s Augen füllen sich mit Tränen.
„Kommst du mal wieder?“, fragt sie mich, als ich ihr zuwinke und mich umdrehe.
„Na klar, das weißt du doch.“
Langsam gehe ich durch den Mittelgang in Richtung Hauptportal, und nicke noch Jakobus zu, der auf der linken Seite steht, und mir zuzwinkert, als auch er Sybille’s leisen Gesang hört.
„ … hoppala, ich stolpere, ich stürze, ich träume, ich liebe …“