Keine Kleinigkeiten
Ich habe einen Blick für Details, andere würden vielleicht sagen, es sind Kleinigkeiten, die mich oft anpacken, unwichtig in ihrer Bedeutung. Mit Absicht mache ich das nicht, meine Wahrnehmung scheint so zu funktionieren, zumindest manchmal. Vielleicht ist es aber auch Unkonzentriertheit oder Langeweile, die mich überkommt, wenn ich des großen Ganzen überdrüssig werde. Ich kann im Kino sitzen und einen ganzen Film über darauf warten, dass ein Schauspieler ein bestimmtes Wort nocheinmal sagt, weil es mir, als er es das erste Mal ausgesprochen hat, so gut gefallen hat, sei es der Klang der Wortes ansich, sei es die Färbung seiner Stimme, mit der er nah an mich herangetreten ist und mich berührt hat. Oder es hängt in einer Szene des Filmes ein bestimmtes Bild an der Wand und ich versuche zu erkennen, ob in den anderen Zimmern der Filmwohnung ähnliche Bilder hängen. Auch versuche ich grundsätzlich, wenn eine Figur in einem Film ein Buch liest, zu erkennen, welches Buch da gelesen wird und überlege dann warum dieses Buch oder ob es reiner Zufall ist und ich habe mir tatsächlich schon das eine oder andere dieser filmgelesenen Bücher gekauft und auch gelesen. Ein Puzzlestein der Vervollständigung. Für mich ist es dann eine Nebensächlichkeit, dass ich die eigentliche Handlung des Filmes gar nicht mitbekomme, es ist nicht wichtig.
Vergangenen Samstag war ich im Münster, nur kurz, ich hatte etwas zu erledigen in der Stadt, wollte das eigentlich schnell hinter mich bringen und dann habe ich abgekürzt, bin über den Münsterplatz gegangen, mitten durch die Buden des noch nicht eröffneten Weihnachtmarktes. Noch kein Lebkuchen- und Glühweinduft, die Verschläge der Stände noch heruntergeklappt, kaum Menschen.
Und dann bin ich doch hinein ins Münster und hab einen Rundgang gemacht, hab‘ mich führen lassen von kleinen Details, den Steinmetzzeichen. Es gibt sehr viele davon im Münster und sie geleiten, wenn man sich auf sie einlässt, den Blick des Betrachters anders durch den Raum und über die Quadersteine, als dieser sonst seinen Weg nehmen würde. Das Hinschauen wird sprunghafter und ruhiger zugleich. Sprunghafter, weil die Augen weitereilen, um das nächste Zeichen zu suchen, ruhiger, weil sie meist keine weite Distanz zurücklegen müssen, um fündig zu werden. Mit den Steinmetzzeichen markierten die Steinmetze ihre Urheberschaft. Ursprünglich dienten sie der Lohnaufstellung. Später jedoch, im 14. und 15.Jahrhundert, wurden sie zu einem Ehrenzeichen, das einem Steinmetz nach Beendigung der Gesellenzeit von der Bauhütte zugeteilt wurde und das somit einen offiziellen amtlichen Charakter hatte.
Fährt man mit seinen Fingern, über die Rillen der verschiedenen Zeichen, dann ist es, als berühre man Menschen aus der Vergangenheit und Menschen sind nie eine Kleinigkeit. Mit diesem Gefühl habe ich das Münster verlassen.